Kriege in der Welt – und plötzlich ist einer ganz nah

Okt 11, 2022 | Zeitgeschehen & Psychologie

Daran, dass es in der Welt immer wieder Kriege gibt, sind wir mittlerweile – leider – gewohnt. Bilder von qualmenden Häusern, zerbombten Städten und Menschen auf der Flucht geistern immer wieder durch die Medien und sind Teil der gängigen Nachrichtensendungen.

Und doch ist es plötzlich anders – warum nur?

WIR SIND UNMITTELBARER TEIL DAVON

Nicht nur räumlich sind Schrecken, Trauer und Gewalt ganz nah an uns – auch emotional sind wir dieses Mal viel stärker betroffen. Ein beträchtlicher Teil der Menschen in unserer Umgebung bemerken an sich Belastungsanzeichen, die sie in diesem Ausmaß nicht erwartet hatten. Bist auch du davon betroffen?

„Du hast dich verändert“

Häufig fällt es zuerst dem Umfeld auf. Du seist anders, du wärst so „empfindlich“, übellaunig, schnippisch… das können Rückmeldungen sein. 

Dir selbst könnten Dinge auffallen wie

  • Dünnhäutigkeit: Kritik kleine Missgeschicke, spitze Bemerkungen, all das trifft dich auf einmal viel mehr, als du es von dir gewohnt bist
  • Sozialer Rückzug: Kontakt zu anderen Menschen empfindest du als anstrengender als sonst, du ertappst dich dabei, dem immer wieder auszuweichen
  • Gereiztheit: Deine „emotionale Zündschnur“ ist viel kürzer, schneller als üblich gehst du in die Luft. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die das auslösen. 
  • Überforderung: Normalerweise wuppst du deinen Alltag sehr gut, egal, wie viele verschiedene Bereiche das betrifft. Nun aber erscheint dir jede Abweichung von der Routine als Zumutung, du weißt nicht, wie du damit umgehen sollst. Selbst dann, wenn alles wie gewohnt abläuft, entsteht schnell das Gefühl, dass einfach alles zu viel sei.

Aber woran liegt das?

Hier kommen drei Faktoren zusammen:

1. Kurz aufeinander folgende, ungewohnte Belastungen

Der aktuelle Krieg in der Ukraine ist eines von vielen größeren Zeitgeschehnissen, welche in der momentanen Zeit eine Rolle spielen. Davor (und gleichzeitig) haben wir eine Pandemie erlebt, Corona war in aller Nasen. Dies allein hat Angst und Unsicherheit geschürt, bei nicht wenigen zusätzlich finanzielle Engpässe und Existenzsorgen. Hinzu kamen dann Krieg, Energiekrise und Inflation. Da entsteht schnell das Gefühl, aus den negativen Schlagzeilen und Belastungen gar nicht mehr herauskommen zu können. Allerdings führt dies auch zu einem eher dysfunktionalen Verhalten:

2. Typische Denkfehler: Mauerbau und Verallgemeinern

Das schnelle aufeinander Folgen verschiedener Belastungsfaktoren verleitet dazu, alle als zusammenhängend zu interpretieren und hoch zu stapeln. Schnell entsteht eine Mauer, furchteinflößend, wolkenkratzend und gefühlt unbeeinflussbar. Statt der Einzelereignisse, die sie sind, formen wir aus einzelnen Ereignissen eine einzige große Bedrohung. 

Allerdings bedingt dies schnell eine große Hilflosigkeit und damit das Gefühl ausgeliefert zu sein, keinen Einfluss zu haben. So direkt vor dieser Bedrohung wirkt diese unüberwindbar, wir hingegen klein und machtlos.

Und nun? 

3. Fokussieren – auf alles Negative

Wenn wir so nah vor der Mauer stehen, dann fokussieren wir uns völlig auf alles an ihr, was gefährlich sein könnte. Ist da nicht sogar noch Stacheldraht…? 

Übertragen auf uns: Wir sind so auf Gefahr und Angst fixiert, dass wir nach weiterem Negativem Ausschau halten. Der „Erfolg“ hierbei ist vorprogrammiert, denn wer nach Negativem, Traurigmachendem und Sorgenschürendem sucht, wird es auch finden.

Das Problem allerdings: Wir verlieren hierdurch alles aus dem Blick, was positiv ist, hilfreich und wohltuend. Wir sehen nur noch

schwarz.

Wenn nun alles schwarz ist, nur noch Negatives passiert, sicherlich alles zugrunde gehen wird und wir keinen Einfluss haben – dann schürt das vor allem Angst.
Nun ist ein wenig Angst erst einmal ein guter Berater im Alltag. Angst macht uns vorsichtig, hellhörig, wachsam. Angst aktiviert Ressourcen, lässt uns reaktionsbereit sein, Lösungen suchen. Wenn diese Angst allerdings aus einer Haltung von Hilflosigkeit und Überforderung entsteht, dann kann sie schnell zu einer zusätzlichen Belastung werden, die weitere Sorgen und Grübeleien bedingt und uns nur noch Kraft kostet. 

DU KANNST ETWAS DAGEGEN TUN

Hilflosigkeit, Überforderung und große Angst fühlen sich schlimm an und kosten viel Energie. Dass diese Gefühle und Gedanken auftauchen, ist absolut verständlich und betrifft aktuell viele Menschen, soviel erst einmal zur Beruhigung.

Aber jetzt ist es an dir, wie du damit umgehst.

Mit ein paar einfachen kleinen Veränderungen kannst du dir selbst helfen, einen Schritt zurückzutreten, deinen Blick zu weiten und damit wieder ein Gefühl von Handlungsspielraum zu erhalten:

1. Zerlege die Mauer wieder in einzelne Teile.

Wenn du versuchen würdest, als Nicht-Extremsportler eine drei Meter hohe Mauer in einem Anlauf überwinden zu wollen, so wird das höchstwahrscheinlich (mindestens) sehr schwierig werden. Trägst du sie jedoch ab und legst die einzelnen Steine nebeneinander, so wird es dir sicherlich gelingen, darüberzusteigen.
Genau das tust du jetzt: Trete gedanklich einen Schritt zurück und versuche, aktuelle Belastungen als das zu sehen, was sie sind, nämlich einzelne Bereiche. Mag sein, dass sie zeitgleich oder zeitnah aufgetreten sind, mag sein, dass sie sich in Randbereichen berühren oder gar überschneiden. Trotzdem sind die meisten davon einzelne Bereiche, die du auch Schritt für Schritt angehen kannst!

Für verschiedene Schwierigkeiten Lösungen zu entwickeln ist dir in deinem bisherigen Leben garantiert schon häufig gelungen. Was hat dir dabei geholfen? 

2. Besinne dich auf deine Stärken und Fertigkeiten.

Die Strategien, Stärken und Fertigkeiten, die du in anderen Situationen anwenden konntest oder vielleicht sogar neu entwickelt hast, helfen dir auch in späteren weiter. Dazu kommt: Du hast sie schon erprobt und erfolgreich eingesetzt! 

Überlege: Welche der einzelnen Teile, die du im ersten Schritt identifiziert hast, betreffen in welcher Weise unmittelbar dein Leben? Hier setzte an: Nutze das, was du bereits hast und kannst! 

Was dabei ebenfalls sehr hilfreich ist:

3. Stelle wieder eine Balance her. 

Alles in der Welt strebt nach Gleichgewicht, in allem gibt es mindestens zwei Seiten. So gibt es auch in deinem Leben garantiert neben all den schwierigen Ereignissen auch schöne und, positive. Immer wieder geschieht etwas, was dir guttun kann, dir hilft, aufzutanken und deine Ressourcen wieder aufzufüllen.

Du musst sie nur wahrnehmen können.

Probiere hierzu diesen kleinen Trick:

Such dir fünf kleine, etwa gleich geformte Dinge, die in eine Hosentasche passen. Das können kleine Kieselsteinchen sein, getrocknete Erbsen oder Ähnliches. Stecke sie in deine linke Tasche. Jedes Mal nun, wenn du einen schönen Moment wahrnimmst, egal wie groß oder klein er ist, nimmst du eines der Steinchen aus der linken Tasche und steckst es in die rechte.

Es kann sein, dass es dir zunächst schwerfällt, solche Momente zu entdecken. Vielleicht bist du schon sehr im Negativfokussieren gefangen. Erinnere dich selbst immer wieder daran, nach Schönem Ausschau zu halten. Mit der Zeit fällt es deinem Gehirn immer leichter, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und die Steine bekommen immer mehr Gelegenheit zu wandern… Vielleicht musst du sogar zweimal, oder sogar dreimal wieder alle Steinchen nach links befördern, um von vorne beginnen zu können!

Beispiele für schöne Momente: Der Sonnenstrahl, der direkt vor dir durch die Blätter auf den Boden fällt; wenn der Himmel aufreißt; wenn dich jemand anlächelt, wenn du Hunger hast und den ersten Bissen nimmst; wenn du bewusst wahrnimmst, wie gut deine Seife riecht; wenn sich jemand bei dir bedankt; wenn du ein schönes Lied hörst, oder ein Lachen, oder den Wind in den Bäumen, … und und und…. begib dich auf Entdeckungsreise!

Schöne Dinge zu bemerken, senkt das Stresslevel. Sinkt das Stresslevel in Körper und Geist, bist du nicht mehr rein durch Cortisol und Adrenalin getrieben, erreichts einen entspannteren Zustand und bist damit wieder in der Lage, besser zu denken. Besser zu denken bewirkt, mehr Faktoren berücksichtigen zu können und damit klügere Entscheidungen zu treffen. Diese wiederum bedingen positive Veränderungen in deinem Leben, damit schöne Momente (Steinchen!) und besseres Selbstwertgefühl.

Win – win, würde ich sagen!

Los geht’s!